Zur Geschichte des Wormser Schachvereins
Die Geschichte des Wormser Schachvereins beginnt mit einer Notiz in der „Wormser Zeitung" vom 19.11.1878 zu einer geplanten Vereinsgründung, die dann am 23.11. erfolgte. Die ersten 50 Jahre des Vereins liegen noch weit gehend im Dunkeln und sollen in der Zukunft genauer erforscht werden. Die bislang älteste Information zu einem Schachturnier in Worms stammt aus dem Jahr 1914: Sieger unter insgesamt 13 Teilnehmern war Bernhard Peters, damals Redakteur der „Wormser Zeitung". Stärker in die Öffentlichkeit trat der Wormser Schachverein erst Ende der 1920er-Jahre, nach dem 1928 erfolgten Beitritt zum Pfälzischen Schachbund. Eng verknüpft ist der damalige Aufschwung mit dem Namen Dr. Ernst Bachl, in Worms niedergelassener Frauenarzt und in den kommenden Jahrzehnten eine der bekanntesten Schachpersönlichkeiten in weiter Umgebung. Dr. Bachl war das, was man damals „Propagandist" nannte – er warb bei jeder Gelegenheit für das Schachspiel, erteilte Schachunterricht, gründete Vereine und betreute über Jahrzehnte die auch überregional bekannte Schachecke in der „Wormser Zeitung". Selbst ein starker Schachspieler, gewann Dr. Bachl die 1938 erstmals ausgetragene Wormser Stadtmeisterschaft, die im Rahmen der Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen des Vereins ausgetragen wurde. Höhepunkt des Jubiläums war ein Vergleichskampf zwischen 16 Städten (nicht Vereinen!), zu dem sich über 200 Schachspieler im Mozartsaal des Festhauses versammelten. Auf Wormser Seite mit dabei – für die damalige Zeit eine Seltenheit – auch mehrere Frauen, darunter Liesel Scherr (geb. 1907), die bis weit in die 70er-Jahre hinein zu den stärksten Schachspielerinnen in Rheinland-Pfalz zählte und bei den Deutschen Meisterschaften 1965 und 1979 jeweils den dritten Platz erreichen konnte. Frau Scherr blieb bis ins hohe Alter aktiv und bestritt ihr letztes Punktspiel mit 98 Jahren.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 stieg die Bedeutung des Schachspiels in der Gesellschaft stark an. Die neuen Machthaber erkannten Schach als „Kriegsdenksport" oder „geistigen Wehrkampfsport" und initiierten viele Veranstaltungen wie z.B. jährlich die sog. Nationale Schachwerbewoche. Ob die damaligen Verantwortlichen im Wormser Schachverein dieser Entwicklung mit Überzeugung, Opportunismus oder innerer Ablehnung gefolgt sind, lässt sich anhand der vorliegenden Unterlagen nicht abschließend beantworten. Ein großer Widerstand blieb jedoch aus, auch bei dem 1933 erfolgten Ausschluss der jüdischen Vereinsmitglieder, der übrigens zur Gründung gleich zweier jüdischer Schachvereine in Worms führte, die in den Jahren bis 1938 eine große und erfolgreiche Rolle im jüdischen Sportgeschehen spielten. Erstmals fanden in dieser Zeit auch Ligawettkämpfe statt, in denen sich der Wormser Schachverein mit spielstarken Vereinen aus Pirmasens, Kaiserslautern und Ludwigshafen messen konnte. Bei den jährlich ausgetragenen Pfalzmeisterschaften erzielten Wormser Spieler regelmäßig gute Ergebnisse, und 1938 war man erstmals auch Ausrichter der Titelkämpfe.
Der Zweite Weltkrieg brachte den Spielbetrieb rasch zum Erliegen, und 1945 wurden alle Sportvereine auf Befehl der Besatzungsmächte verboten. In der französischen Besatzungszone, zu der Worms gehörte, wurden zunächst überwiegend sog. Omnisportvereine wieder zugelassen, unter anderem der FC Blau-Weiß Worms, unter dessen Dach sich auch die Schachspieler versammelten und als „Schachabteilung des FC Blau-Weiß Worms" ab 1948 auch wieder dem Pfälzischen Schachbund angehörten. Die Aus- bzw. Wiedergründung als eigenständiger Verein erfolgte dann zum 01.04.1951 unter der Führung von Heinrich Kiefer, der mit kurzer Unterbrechung über 30 Jahre Vorsitzender bleiben sollte.
In den 50er-Jahren konnte sich der Wormser Schachverein als Ausrichter größerer Veranstaltungen etablieren. Neben dem Pfälzischen Schachkongress 1953 (der 1968 und 1978 noch zwei weitere Male in Worms stattfand) aus Anlass des 75-jährigen Vereinsbestehens kamen ab 1956 auf Idee von Hubert Teupe die „Wormser Königsspiele" hinzu. Zunächst als großes Blitzturnier für Vierermannschaften, später dann als Schnellschachturnier in verschiedenen Gruppen mit oftmals dreistelligen Teilnehmerzahlen. Dazu gab es stets ein großes Rahmenprogramm, unter anderem mit Simultanvorstellungen bekannter Schachspieler. Absoluter Höhepunkt war hier im Jahre 1983 der Besuch des damaligen Schachweltmeisters Anatoli Karpov, der es sich bei dieser Gelegenheit nicht nehmen ließ, Ehrenmitglied des Wormser Schachvereins zu werden. Die „Wormser Königsspiele" – terminlich immer zur Zeit des Backfischfestes angesiedelt – waren über viele Jahre ein fester Bestandteil auch des überregionalen Schachkalenders, und dank des Engagements von Hubert Teupe wurde von der Veranstaltung sogar mehrfach im Fernsehen berichtet.
Im Gegensatz zu heute gab es in der damaligen Zeit nur wenige offene Schachturniere, in denen Spieler ihre Kräfte messen konnten. Der Turnierkalender der meisten Wormser Schachspieler bestand aus der Stadtmeisterschaft, dem Vereins- und dem Pokalturnier sowie den Mannschaftskämpfen im Pfälzischen Schachbund; hinzu kamen noch die jährlichen Titelkämpfe beim Pfälzischen Schachkongress. Hier spielten Akteure des WSV meist nur Nebenrollen, und es sollte bis zum Jahre 1969 dauern, bis ein Wormser in Person von Wolfgang Jäger sich Pfälzischer Einzelmeister nennen durfte. Am Mannschaftsspielbetrieb nahm man meistens mit drei oder vier Teams teil; die erste Mannschaft hielt sich immer in den obersten Ligen der Pfalz und schaffte 1973 erstmals den Aufstieg in die Oberliga Saar-Pfalz, vor Einführung der Bundesliga die höchste Spielklasse. Nach zwischenzeitlichem Abstieg folgten in den 80er-Jahren vier weitere Saisons in der inzwischen zweitklassigen Oberliga Südwest mit einem vierten Platz als bestem Ergebnis.
1969 erfolgte die Gründung einer Schachabteilung beim ESV Worms. In den 80er-Jahren gab es mit den neu hinzugekommenen Vereinen Königsspringer Worms und Schwarz-Weiß Worms gleich vier Vereine in der Stadt, hinzu kamen noch zwei Schachvereine in Pfeddersheim und die Schachabteilung der TSG Heppenheim. Einige der Neugründungen waren das Resultat interner Streitigkeiten und führten zu einem längerfristigen Mitgliederschwund beim Wormser Schachverein mit einer nur kurzen Trendumkehr Mitte der 80er-Jahre. Eine weitere Veränderung ergab sich 1979, als der Wormser Schachverein eines der Gründungsmitglieder des Schachbundes Rheinhessen war und den Pfälzischen Schachbund verließ. Wesentlich zur Unruhe im Verein trug die wiederholte Suche nach einer geeigneten Spielstätte für den Vereinsabend und die Mannschaftskämpfe bei. Teilweise war man gezwungen, mehrmals im Jahr neue Räumlichkeiten zu finden, doch weder bei der Lebenshilfe, im Wormatia-Clubhaus, der Neusatzschule oder bei den Naturfreunden konnte bzw. durfte man lange bleiben. Auch die Besetzung der Vorstandsämter wechselte häufig, nachdem Heinrich Kiefer 1982 den Vorsitz abgab, dem es bis dahin noch gelungen war, für stabile Verhältnisse zu sorgen. Der Tiefpunkt war Ende der 80er-Jahre erreicht, als die Mitgliederzahl bis auf 50 zurückgegangen und die 1. Mannschaft bis in die 2. Rheinhessenliga abgestiegen war.
Schon früh wurde im Verein die Bedeutung der Jugendarbeit erkannt. Dr. Ernst Bachl und andere erteilten bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Schachunterricht, der sich speziell an Jugendliche richtete. In späterer Zeit wurde diese Aufgabe häufig von den stärksten Spielern des Vereins wahrgenommen, unter anderem vom späteren Rheinland-Pfalz-Meister Thomas Steinkohl. So gelang es immer wieder, durch den Weggang von Mitgliedern entstandene Lücken zu schließen und das Vereinsleben zu stärken. Und auch die Krise der 80er-Jahre konnte maßgeblich durch eine intensive Jugendarbeit überwunden werden. Zu verdanken ist diese Entwicklung im Wesentlichen Patrick Boos, seit 1993 Jugendwart und ab 1997 bis heute 1. Vorsitzender bzw. Präsident des Wormser Schachvereins. Sein Jugendtraining setzte neue Maßstäbe und führte zu einem stetigen Anwachsen der Jugendgruppe und auch ihrer Spielstärke. Im Laufe der 90er-Jahre wuchs die Mitgliederzahl wieder an, und mit dem Hotel Boos in der Mainzer Straße fand man endlich auch eine langfristige und den Bedürfnissen angemessene Spielstätte. Die Räumlichkeiten wurden in den folgenden Jahren immer weiter ausgebaut und beherbergen heute unter anderem die mutmaßlich größte Sammlung von historischen Schachuhren in Deutschland.
An der Schwelle zum neuen Jahrtausend zeitigte die Jugendarbeit erste große Erfolge: Spieler wie Roland Ollenberger, Patrick Völbel, Mike Martin und andere errangen viele Titel auf rheinhessischer und auf Landesebene und qualifizierten sich teils mehrfach für die Deutschen Meisterschaften. Und mit Anna Endreß stellte der Wormser Schachverein im Jahre 2003 – quasi pünktlich zum 125-jährigen Bestehen – erstmals eine Deutsche Jugendmeisterin; den Titel konnte sie 2005 in der Altersklasse U12 ein zweites Mal gewinnen. Inzwischen waren alle anderen Schachvereine in der Innenstadt wieder verschwunden, und vor allem von der Schachabteilung des ESV Worms schlossen sich einige Mitglieder dem Wormser Schachverein an und spielten dort in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle. Zur Jugendarbeit im Verein kam im Laufe der Zeit auch ein großes Engagement an den Wormser Grundschulen hinzu – es wurden über viele Jahre Schulschach-AG´s angeboten und durchgeführt, wobei der Umfang immer davon abhing, ob und wie viele Schulschachtrainer zur Verfügung standen. Durch das Schulschach gab es einen regelrechten Ansturm an neuen Mitgliedern, und im Jahre 2005 wurde erstmals in der Vereinsgeschichte die Zahl 150 überschritten. Mit großem Abstand war man inzwischen der mitgliederstärkste Verein im Schachbund Rheinhessen, und dominierte vor allem im Jugendbereich in praktisch allen Altersklassen.
Eine einschneidende Veränderung gab es mit dem Beginn des Jahres 2007: Unzufrieden mit der Behandlung im von Vereinen aus dem Mainzer Raum dominierten Schachbund Rheinhessen setzte der Wormser Schachverein den Wechsel bzw. die Rückkehr in den Pfälzischen Schachbund mit seinem wesentlich attraktiveren Spielbetrieb durch. Auch im PSB war man zunächst der Verein mit den meisten Mitgliedern und konnte sofort eine gute Rolle spielen, nicht zuletzt auch als Veranstalter verschiedener Turniere. Aushängeschild war für viele Jahre das Wormser Nibelungen-Open, ein drei- bzw. viertägiges Schachturnier mit teils über 200 Teilnehmern und mit bekannten Namen in den Siegerlisten. Derweil setzte sich auch die sportliche Entwicklung der 1. Mannschaft fort und führte in der Saison 2009/2010 zum lang ersehnten Aufstieg in die Oberliga Südwest mit einer Mischung von Spielern aus dem eigenen Nachwuchs und ebenfalls meist jungen Kräften aus der Region. In den kommenden Jahren konnte man sich in der Oberliga etablieren und spielte mehrmals um den Aufstieg mit. Und in der Spielzeit 2018/2019 folgte dann der große Wurf: Nach dem Sieg im entscheidenden Spiel gegen den SK Landau gelang der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Mit einer reinen Amateurmannschaft gegen Teams bestehend aus fast ausschließlich bezahlten Profis gelangen in der folgenden Saison erwartungsgemäß nur Achtungserfolge.
Wie so viele andere muss auch der Wormser Schachverein seit einigen Jahren mit der schwindenden Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement und einer sich abschwächenden Bindung der Mitglieder an den Verein kämpfen. Der Vereinsführung um Präsident Patrick Boos und den Vizepräsidenten Dr. Gernot Köhler und Klaus Zachmann – unterstützt vom Verfasser dieser Zeilen und anderen – gelingt es aber noch immer, den Verein auf Kurs zu halten und den Mitgliedern ein attraktives Angebot zu machen. Die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erlassenen Einschränkungen der beiden letzten Jahre führten zu einer harten Unterbrechung im Vereinsleben. Im Gegensatz zu anderen Sportarten lässt sich Schach aber auch leicht online ausüben; während der Lockdowns wurde der Spielbetrieb auf eine Online-Plattform verlagert und zumindest einigermaßen weitergeführt. Ob diese Entwicklung dem Vereinsleben der Schachvereine langfristig eher nützt oder schadet, ist derzeit noch schwer abzuschätzen. Die Mitgliederzahl im Wormser Schachverein ist jedenfalls nicht merklich zurückgegangen. Der freitägliche Spielabend mit seinem umfangreichen Turnierprogramm wird nach wie vor gut besucht, und auch die Jugendarbeit wird fortgesetzt und führt dem Verein regelmäßig neue Mitglieder zu. Lediglich der Bereich Schulschach kann mangels geeigneten Personals derzeit nicht bedient werden.
In den nunmehr 144 Jahren seines Bestehens stand der Wormser Schachverein immer wieder vor großen Herausforderungen und konnte diese dank des Engagements vieler Idealisten und ehrenamtlicher Kräfte stets bewältigen. Mit Blick auf das in einigen Jahren anstehende Jubiläum „150 Jahre Wormser Schachverein" werden sich die derzeit Verantwortlichen bemühen, den gestiegenen Anforderungen auch weiterhin gerecht zu werden und den Schachsport in Worms nach Kräften zu fördern.
Daniel Hendrich
Dieser Text erschien zuerst in "Worms 2023 - Heimatjahrbuch für die Stadt Worms" (Worms-Verlag).